Bhutan: soziales Glück als wirtschaftspolitisches Ziel


Die Zufriedenheitssteigerung der Einwohner ist in der bhutanischen Verfassung verankert – Utopie oder ein Segen für Mensch und Natur?

Was bedeutet das Bruttosozialglück in Bhutan

Das so genannte Bruttosozialglück ersetzt das kapitalistische Bruttosozialprodukt in der Wirtschaftspolitik des Staates Bhutan. Das ursprünglich vom früheren König Jigme Singye Wangchug Anfang der 1970er Jahre erstmals vorgestellte Modell der Mehrung der Zufriedenheit der Menschen in seinem Lande wurde 2008 in der Verfassung als zukünftig wichtigstes staatliches Ziel verankert. Als Indikator für die Glückseligkeit seiner Bewohner gilt das GNH (Gross National Happiness).

Die Ideologie des Bruttosozialglücks findet seine Wurzeln in der staatlichen Religion, dem Buddhismus.

Die Religion als Grundlage der Glücksbestrebungen in Bhutan

In Bhutan gibt es eine Staatsreligion: eine Form des Mahayana-Buddhismus, dem 72 % der Bevölkerung angehören. Weiterhin gibt es noch Minderheiten mit dem hinduistischen, islamischen und christlichen Glauben. Die Kultur Bhutans wird maßgeblich durch den Buddhismus geprägt, ebenso seine Politik. In der buddhistischen Philosophie führt nur die Nächstenliebe sowie Verständnis und die Überwindung von negativen Gefühlen und Überzeugungen, wie Neid oder Gier, zusammen mit Meditation zu einem andauernden Glück. Glück beschränkt sich demnach nicht auf den Besitz von materiellen Gütern oder einen kurzen Moment des Hochgefühls, sondern auf einen andauernden Ursprungszustand des Menschen mit positiven, ausgeglichenen Gedanken und Gefühlen.

Um diese Glückseligkeit zu mehren, wird ein ordentlicher Lebensstandard, Bildung, Gesundheit, Verbundenheit mit der ursprünglichen Natur und auch mentales Wohlbefinden in Form von Meditationen sowie die Würdigung von Tradition, Familien und Festen gefördert.

Bhutan, das Land der Drachen

Schon allein die Flagge mit einem schwarz-weißen Drachen, der in jeder Klaue eine Kristallkugel hält, auf einem halb orangefarbenen und halb roten Hintergrund erinnert an eine farbenfrohe, positive Fantasiegeschichte.

Da Bhutan Umwelt- und Naturschutz zu einem seiner vier wichtigen Staatsziele ernannt hat, bietet dieses Himalayaland in der Größe der Schweiz eine unberührte Flora und Fauna, wie sie kaum auf der restlichen Weltkugel zu finden ist. Allerdings gehört Bhutan auch zu einem der ärmsten Länder der Welt. Umso erstaunlicher ist es, dass über 55 % der Bevölkerung den eigenen Lebensstandard als gut oder sogar als sehr gut empfindet.

Das unabhängige Königreich Bhutan liegt zwischen Indien und China und hat eine demokratisch-konstitutionelle bzw. parlamentarische Monarchie.

Die tibetische Staatsbezeichnung lautet „Druk Yul“, was „Land der Drachen“ bedeutet.

Das Modell des Bruttosozialglücks mit seinen Indikatoren in Bhutan

Das Modell des Bruttosozialglücks basiert auf vier Säulen:

  1. Nachhaltige sozio-ökonomische Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung,
  2. Erhaltung und Leben der Kultur und Tradition,
  3. Umwelt- und Naturschutz und
  4. Gute Regierungs- und Verwaltungsführung.

Diese Säulen werden nochmals in neun Bereiche unterteilt:

  1. Psychologisches Wohlbefinden,
  2. ökologische Vielfalt und Widerstandsfähigkeit,
  3. Gesundheit,
  4. Erziehung und Bildung,
  5. Kulturelle Vielfalt und Widerstandsfähigkeit,
  6. Lebensstandard,
  7. Zeitmanagement sowie Zeitverwendung,
  8. Gemeinschaftsleben und kommunaler Wohlstand und
  9. Gute Regierungs- und Verwaltungsführung.

Der aktuelle Stand sowie die Fortschritte werden anhand 72 Faktoren in Fragenform überprüft.

Überprüfung des Bruttosozialglücks durch Befragung

Die Einschätzung, wieviel Glück und Zufriedenheit die Bevölkerung von Bhutan empfindet, wird anhand von Indikatoren ermittelt, die in Fragenform als Umfrage an die Staatsbürger gestellt werden.

Die Befragenden gehen von Haus zu Haus und interviewen die Menschen, die im Allgemeinen nach einer kurzen Erläuterung des Zwecks bereitwillig Auskunft geben.

Diese Umfrage behandelt beispielsweise Fragen,

  • wie es um negative Gefühle, wie Eifersucht, Neid oder Frustration steht,
  • wie die Meditationen ausgeführt werden,
  • wie ernst Themen um Umwelt- und Naturschutz genommen werden,
  • wie weit es zum nächsten Arzt ist,
  • wie sehr traditionelle Dialekte, regionale Sportarten oder auch buddhistische Feste gewürdigt werden,
  • wie viel Hausarbeit oder Krankenpflege geleistet wurde,
  • wie lange ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt wurden,
  • wie hoch die Spendenbereitschaft ist,
  • wie die eigene Sicherheit wahrgenommen wird und
  • ob der Befragte ein eigenes Haus in Bhutan hat.

Jedoch auch offizielle Werte, wie Verbrecher- oder Krankheitsstatistiken, werden berücksichtigt.

Somit fließen objektiv und subjektiv wahrgenommene Werte in die Beurteilung mit ein. Dies entspricht dem buddhistischen Glauben, wonach beides, Objektivität und Subjektivität, zur Realität gehören.

Auswertung der Befragungsergebnisse

Es können nur einzelne der neun Bereiche ausgewertet oder auch eine Gesamtziffer für das Bruttoinlandsglück ermittelt werden.

Da Ergebnis dieser Befragung und der Auswertung stellt eine wesentliche Grundlage für die weiteren Entscheidungen der bhutanischen Regierung dar.

Wie viel taugt Bhutans wirtschaftspolitisches Konzept auf Grundlage der Glückseligkeit

Unter dem Aspekt, dass mehr als 55 % der bhutanischen Einwohner ihr Leben und ihren Lebensstandard als gut oder sogar sehr gut einschätzen, erscheint dieses Konzept zumindest in diesem Lande erfolgreich zu sein.

Allerdings darf nicht vergessen werden, dass Bhutan spezielle Besonderheiten aufweist: den stark vertretenen Buddhismus als Staatsreligion, die geringe Einwohnerzahl und den bisher geringen Kontakt mit kapitalistischen Staaten. Um Bhutan vor „schädigenden“ Einflüssen zu schützen, wurde das Fernsehen erst ab dem Jahr 1999 erlaubt.

Daher ist dieser Ansatz nicht ohne Weiteres auf andere Länder mit anderen Bedingungen übertragbar, in denen die Globalisierung und die Konsumverführungen schon Einzug gehalten haben.

Weiterhin stellt sich aus kapitalistischer Sicht die Frage, ob zu viel Glück und Zufriedenheit nicht auch den Forschungs-, Veränderungs-, Verbesserungs- und Arbeitsdrang bremst, denn ohne einen Bedarf entsteht auch kein Druck zur Handlung.

Zudem besteht die Gefahr, dass eine Zufallsumfrage nach den Indikatoren des Bruttosozialglücks nicht nur extrem aufwändig, sondern auch nicht repräsentativ und manipulierbar wird.

Hinzu kommt, dass es kompliziert ist, den Zustand von Glück zu messen wie auch zu definieren. Glück wird sehr subjektiv sowie kurzlebig empfunden und ist vielschichtig.

Es ist jedoch unumstritten, dass vermehrter Umweltschutz sowie die Ausrichtung auf das kollektive Glück zu einem menschennahen Leben mit mehr Gesundheit und einer Erhaltung der Fauna sowie Flora führen.

Die Beurteilung, ob die interessanten Ansätze der bhutanischen Wirtschaftspolitik global Sinn ergeben und anwendbar sind, werden endgültig wohl die Philosophen, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker klären müssen.

Quellen / weitere Informationen

Wikipedia.org – Bhutan
Taz.de
Utopia.de (und Folgeseiten 2-3)
Zeit.de
WDR.de
Wissen.dradio.de – Bhutan arm und glücklick
Dradio.de – Hintergrundpolitik